Es ist kein Geheimnis, dass wenn die Rede von Ossis und Wessis ist, dass sofort typische Stereotypen entstehen. So z.B. schreibt Wolfgang Benz in seinem Artikel „Stereotype des Ost-West-Gegensatzes“:

„Im Westen ist die Vorstellung verbreitet und deshalb leicht instrumentalisierbar, die Bevölkerung der ehemaligen DDR kranke an selbst verschuldeter Leistungsschwäche und mangelndem Leistungswillen, fehlender Initiative, Untertanenmentalität und Undankbarkeit gegenüber westlicher Aufbauhilfe. Im Osten sind viele überzeugt, dass die Bewohner des Westens materiellen Wohlstand höher zu schätzen wüssten als menschliche Wärme, dass Ellbogenkraft wichtiger genommen werde als Solidarität, dass der Vereinigung ein „Okkupationsregime“ gefolgt sei, bei dem arrogante Westler den Osten ausgeplündert und regiert hätten.“

Wenn man über die Stereotypen in der KJL spricht,  so werden im Artikel von Carsten Gansel „Atlantiseffekte in der Literatur“ drei folgende Stereotypen angesprochen:

Der Täter-Opfer-Topos

Wenn nach Gründen für das Ende der DDR gefragt wird, dominiert folgendes Erklärungsmuster: eine amoralische, inkompetente Funktionärsclique habe den Staat DDR in den Ruin getrieben und die Bevölkerung systematisch belogen. (S. 36) 

Zu diesem Punkt kann man noch hinzufügen, dass der Staat nach den Personen, die eigene oppositionelle Meinung hatten, spioniert hatte. Solange in Schwartz’ Graphic Novel „drüben!“ blieb der Vater bei der Uni und danach in der Schule der Ideologie der DDR treu, blieb alles in Ordnung, aber als die junge Familie einen Ausreiseantrag gestellt hatte, bekam sie sofort Probleme. Der Vater war aus der Partei und dem Hochschuldienst sofort rausgeworfen. Es kam auch ständig zu den dubiosen Verhören bei der Volkspolizei. 

Der Widerstandstopos

Der Täter-Opfer-Topos ist verbunden mit dem Herausstellen eines indirekten wie offenen Widerstands in der DDR. Es sollte bei dem kindlichen Leser der Eindruck entstehen, dass im DDR-Alltag ein allgegenwärtiger Repressionsapparat eine beständige Atmosphäre der Bedrohung und Angst erzeugte. Der Widerstand aller sollte sich gegen eine derart verhasste Staatsmacht richten. (S. 37)

Daniel Krüger, der Protagonist in „Herbst der Entscheidung“ von PM Hoffmann und Bernd Lindner, macht sich Gedanken über sein Studium ohne dabei drei Jahre in der Armee zu verbringen. Er will nur Kulturredakteur werden und kein Kulturoffizier. Sein Zweifel am System in der DDR treibt ihn um, und er taucht in die Leipziger Bürgerbewegungsszene ein. Dadurch gerät Daniel immer tiefer in den Sog der Ereignisse der Friedlichen Revolution.

Das Feindbild-Lehrer/ Eltern

Als Negativ-Stereotyp fungieren am meisten Lehrer- und Elternfiguren. Sie bilden die Figurengruppe, auf die schuldhaftes Verhalten konzentriert, um nicht zu sagen: bei denen es entsorgt wird. (S. 39) 

In „drüben!“ sieht man das besonders deutlich. Die Großeltern des Autors stammten aus einer sozialistischen Musterfamilie. Der Großvater war sogar Mitglied der SED. Seine Großmutter war schon vor dem Krieg als Jugendliche durch ihre Eltern kommunistisch motiviert. Wie ihr Vater wurde sie Mitglied der KPD.